Urteile vom 16. Dezember 2020 – IV ZR 294/19 und IV ZR 314/19
Der u.a. für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Begründung einer Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung nach § 203 Abs. 5 VVG die Angabe der Rechnungsgrundlage (Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeit) erfordert, deren Veränderung die Prämienanpassung veranlasst hat. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben.
Sachverhalt und Prozessverlauf
Die Kläger wandten sich gegen mehrere Beitragserhöhungen in den Jahren zwischen 2014 und 2017, die ihr privater Krankenversicherer auf der Grundlage von § 203 Abs. 2 VVG vorgenommen hatte.
Im Verfahren IV ZR 294/19 beanstandete der Kläger zuletzt nur noch die Mitteilungen über die Gründe für die Beitragserhöhungen. Das Landgericht hat seiner Klage stattgegeben, die Unwirksamkeit der Prämienanpassungen für die Jahre 2015 und 2016 festgestellt und den beklagten Versicherer u.a. antragsgemäß zur Rückzahlung der gezahlten Erhöhungsbeträge verurteilt. Das Oberlandesgericht hat dies im Wesentlichen dahingehend abgeändert, dass eine Unwirksamkeit der Prämienanpassungen nur bis zum 31. Dezember 2017 festgestellt und der beklagte Versicherer nur zur Rückzahlung der bis zu diesem Zeitpunkt auf die Prämienanpassungen für 2015 und 2016 gezahlten Erhöhungsbeträge verurteilt worden ist. Nach Auffassung des Berufungsgerichts waren die Mitteilungen der Prämienanpassungen für diese Jahre nicht mit ausreichenden Gründen versehen. Der Versicherer habe die Begründung jedoch in der Klageerwiderung nachgeholt, so dass der Mangel von diesem Zeitpunkt an geheilt gewesen sei und die Prämienanpassungen zum 1. Januar 2018 wirksam geworden seien.
Im Verfahren IV ZR 314/19 machte der Kläger die formelle und materielle Unwirksamkeit der Prämienanpassungen geltend. Seine Klage hatte in den Vorinstanzen in vollem Umfang Erfolg. Der beklagte Versicherer ist u.a. verurteilt worden, die bis zum 15. Februar 2017 auf die Prämienerhöhungen für die Jahre 2014, 2015 und 2017 gezahlten Erhöhungsbeträge zurückzuzahlen. Das Berufungsgericht hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Mitteilungen über die Prämienanpassungen nicht den Mindestanforderungen aus § 203 Abs. 5 VVG genügten und die Prämienanpassungen deswegen nicht wirksam geworden seien.
Hiergegen richten sich die Revisionen der Beklagten.
Die Entscheidung des Senats
Der Bundesgerichtshof hat in beiden Verfahren bestätigt, dass bei einer Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG erst durch die Mitteilung einer den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügenden Begründung die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt wird. Dabei, so hat der Senat jetzt entschieden, muss angegeben werden, bei welcher Rechnungsgrundlage – Versicherungsleistungen, Sterbewahrscheinlichkeit oder beiden – eine nicht nur vorübergehende und den festgelegten Schwellenwert überschreitende Veränderung eingetreten ist und damit die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst wurde. Dagegen muss der Versicherer nicht die genaue Höhe dieser Veränderung mitteilen. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses anzugeben.
Der Gesetzeswortlaut sieht im Fall der Prämienanpassung die Angabe der „hierfür“ maßgeblichen Gründe vor und macht damit deutlich, dass sich diese auf die konkret in Rede stehende Prämienanpassung beziehen müssen; eine allgemeine Mitteilung, die nur die gesetzlichen Voraussetzungen der Beitragserhöhung wiedergibt, genügt danach nicht. Maßgeblich, d.h. entscheidend für die Prämienanpassung ist gemäß § 203 Abs. 2 Satz 1 und 3 VVG die als nicht nur vorübergehend anzusehende Veränderung der bzw. einer der dort genannten Rechnungsgrundlagen. Dagegen ist die konkrete Höhe der Veränderung dieser Rechnungsgrundlagen ebenso wenig entscheidend wie die Frage, ob der überschrittene Schwellenwert im Gesetz oder davon abweichend in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelt ist.
Die Gesetzesbegründung zeigt, dass der Gesetzgeber im Rahmen der VVG-Reform 2008 keine grundsätzliche Neuregelung für das Wirksamwerden einer Prämienanpassung beabsichtigte, sondern die Mitteilungspflicht nur geringfügig erweitern wollte. Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe soll dem Versicherungsnehmer zeigen, was der Anlass für die konkrete Prämienanpassung war. Sie erfüllt so den Zweck, dem Versicherungsnehmer zu verdeutlichen, dass weder sein individuelles Verhalten noch eine freie Entscheidung des Versicherers Grund für die Beitragserhöhung war, sondern dass eine bestimmte Veränderung der Umstände dies aufgrund gesetzlicher Regelungen veranlasst hat. Dagegen hat die Mitteilungspflicht nicht den Zweck, dem Versicherungsnehmer eine Plausibilitätskontrolle der Prämienanpassung zu ermöglichen.
Fehlende Angaben zu den Gründen der Prämienanpassung können vom Versicherer nachgeholt werden, setzen aber erst ab Zugang die Frist für das Wirksamwerden der Prämienanpassung in Lauf und führen nicht zu einer rückwirkenden Heilung der unzureichenden Begründung. Erfolgt eine weitere, diesmal insgesamt wirksame Prämienanpassung im betreffenden Tarif, hat der Versicherungsnehmer jedenfalls ab dem Wirksamwerden dieser Anpassung die Prämie in der damit festgesetzten neuen Gesamthöhe zu zahlen.
Nach diesem Maßstab ist das Berufungsgericht im Verfahren IV ZR 294/19 rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die von der Beklagten mitgeteilten Gründe für die Prämienerhöhungen zum 1. Januar 2015 und zum 1. Januar 2016 die Voraussetzungen der erforderlichen Mitteilung nicht erfüllen. Da aber durch eine spätere, ausreichend begründete Prämienanpassung in einem der betroffenen Tarife die Prämie ab diesem Zeitpunkt wirksam neu festgesetzt worden war, hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil teilweise abgeändert.
Im Verfahren IV ZR 314/19 hat das Berufungsgericht dagegen eine der im Streit stehenden Prämienanpassungen zu Unrecht für nicht ausreichend begründet gehalten. Der Bundesgerichtshof hat daher das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit es die materielle Rechtmäßigkeit dieser Prämienanpassung prüfen kann.
Vorinstanzen:
IV ZR 294/19
LG Köln – Urteil vom 29. August 2018 – 23 O 305/17
OLG Köln – Urteil vom 29. Oktober 2019 – 9 U 127/18
und
IV ZR 314/19
AG Schöneberg – Urteil vom 26. September 2018 – 14 C 62/17
LG Berlin – Urteil vom 7. November 2019 – 24 S 22/18
Maßgebliche Vorschriften:
§ 203 VVG
(1) …
(2) Ist bei einer Krankenversicherung das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen, ist der Versicherer bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage berechtigt, die Prämie entsprechend den berichtigten Rechnungsgrundlagen auch für bestehende Versicherungsverhältnisse neu festzusetzen, sofern ein unabhängiger Treuhänder die technischen Berechnungsgrundlagen überprüft und der Prämienanpassung zugestimmt hat. … Maßgebliche Rechnungsgrundlagen im Sinn der Sätze 1 und 2 sind die Versicherungsleistungen und die Sterbewahrscheinlichkeiten. …
(3) …
(4) …
(5) Die Neufestsetzung der Prämie und die Änderungen nach den Absätzen 2 und 3 werden zu Beginn des zweiten Monats wirksam, der auf die Mitteilung der Neufestsetzung oder der Änderungen und der hierfür maßgeblichen Gründe an den Versicherungsnehmer folgt.
Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 2020